Herzensnacht 2005

HERZENS NACHT 2005

Inszenierte Interpretation von Robert Schumanns „Dichterliebe“

 

Videoausschnitt 1: Im wunderschönen Monat Mai
Videoausschnitt 2: Ich hab im Traum geweinet
Videoausschnitt 3: Aus alten Märchen winkt es

Sonnabend, 9. Juli 2005
20.00 Uhr
Hochschule für Musik und Theater
“Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig
Großer Probesaal
Dittrichring 21

Mitwirkende:
Mareike Schellenberger – Gesang
Jana Ressel – Choreographie und Tanz
Bernhard Kastner – Klavier
Anja-Christin Winkler – Regie
Horst Theurich – Licht

Im Anschluss an die Vorstellung laden wir zu einem kleinen Sektempfang ins Café TELEGRAPH gegenüber.

 

„Dichterliebe“ op. 48

1. Im wunderschönen Monat Mai
2. Aus meinen Tränen spriessen
3. Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne
4. Wenn ich in deine Augen seh‘
5. Ich will meine Seele tauchen
6. Im Rhein, im schönen Strome
7. Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht
8. Und wüßten’s die Blumen, die kleinen
9. Das ist ein Flöten und Geigen
10. Hör‘ ich das Liedchen klingen
11. Ein Jüngling liebt ein Mädchen
12. Am leuchtenden Sommermorgen
13. Ich hab‘ im Traum geweinet
14. Allnächtlich im Traume seh‘ ich dich
15. Aus alten Märchen winkt es
16. Die alten, bösen Lieder

Schumanns „Dichterliebe“ op. 48
Hans Joachim Köhler

Schumann braucht das dichterisch veredelte Wort, in das er seine Gedanken fassen will. Die brutale verbale Direktheit des Gerichts-Prozesses, zu dem Schumann gezwungen wird, um seine Liebe zu Clara einzuklagen, macht es ihm bewußt. Er sucht es bei Heine, Rückert, Eichendorff, Andersen, Chamisso, Goethe, Geibel, Kerner und „verdichtet“ es musikalisch in der Form des Liedes, das in „Liederjahr 1840“ 140 unnachahmliche Ausprägungen erfährt. Und er unterwirft es zugleich Sinngebungen, die nur einem Dichter in Tönen erreichbar sind. Er komponiert Visionen der Zukunft. In der „Dichterliebe“ ist es der Alptraum, daß die Braut mit einem anderen vermählt wird. Dem Liebenden gelingen Verzicht und Selbsterhalt durch Verzeihen; Bewältigung wird sublimiert durch Traum und Selbstironie, die bei Schumann jedoch nahe an der Tragik bleibt.
Im Mai 1840 filtert er aus den 66 Gedichten des Heinrich Heineschen „Lyrischen Intermezzo“ sechzehn aus, die er zur geschlossenen zyklischen Gestalt fügt.
Vom Geständnis, vom Sehnen und Verlangen (Nr. 1) geht der Zyklus aus. In Nr. 2 wird das romantische Symbolfeld ausgebreitet: Tränen sind Blumen, Seufzer sind Nachtigallen. Deren Lied besitzt erlösende Kraft. Alle poetischen Symbole vereinen sich in der geliebten Gestalt der „Kleinen, der Feinen, der Reinen, der Einen…“ (Nr. 3). Der Blick in die Augen (Nr.4) ist der Moment der tiefsten Innigkeit, aus ihm ringt sich das Bekenntnis los „Ich liebe dich“, – voll bitterer Ahnung. Die in den „Kelch der Lilie“ (Nr. 5) getauchte Seele ist gleichsam metaphorische Vereinigung – doch gilt die Lilie nicht auch als Symbol des Todes? „Im Dom, da steht ein Bildnis“: – es ist Maria, „unsre liebe Frau“.
Sie wird zur Angebeteten, die zugleich Sehnsucht und Unberührbarkeit verkörpert. Das spaltende Ereignis wird nicht als Untreue erlebt, sondern als Zwang, der die „Nacht in ihres Herzens Raume“ erzeugt. „Ich grolle nicht“ ist die das Ich verleugnende Antwort. (Nr. 7). Die Blumen, „sie würden mit mir weinen“ (Nr. 8). Die Hochzeit mit dem anderen: die Melodie des Ichs bleibt außen, jenseits des Hochzeitstanzes (Nr. 9). Das Lied, „das einst die Liebste sang“, wird ersehnt, doch erst im Nachspiel des Klaviers erhält es Raum, als Nachklang der Seele (Nr. 10). Wie befreit sie sich? Heines Ironie lenkt auch den Komponisten-Dichter auf die „alte Geschichte“: „Und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei“. Nur Flucht ist möglich, in die Sprache der Blumen, in deren Flüstern und Bitten, er solle ihrer Schwester, der Braut, nicht gram sein (Nr. 12). Gedankenarbeit drängt sich in den Traum, aus dem er weinend aufwacht (Nr. 13). Auch der „freundliche Traum“ (Nr. 14), in dem sie freundlich grüßt, endet bitter. „Das Wort hab’ ich vergessen“ – drei Anschläge im Nachspiel. Sie klingen wie in Nr. 4 „ich liebe dich“ (Nr. 14). In den „irren wirren Kreis“ gerät der Leidende, und die Fata morgana „zerfließt wie eitel Schaum“ (Nr. 15). Zwölf Riesen tragen den Sarg, in dem die bösen Träume begraben werden. Er ist so schwer, weil auch die Liebe und der Schmerz hineingesenkt werden (Nr. 16). Das Nachspiel ist reich an Assoziationen. „Sei unserer Schwester nicht böse“ – aber auch die Kadenz des Klavierkonzertes, in dem er von Clara spricht, klingt an.

H E R Z E N S N A C H T
Anja-Christin Winkler

Es ist eine Magie, die von der „Dichterliebe“ ausgeht. Zwar ist sie, wie jede Musik, ihrer Zeit verhaftet, doch leuchtet etwas hindurch, was uns ganz direkt anspricht, unmittelbar berührt. Wie ist es möglich, dass eine Musik über 150 Jahre nach ihrer Entstehung so stark wirken kann?

In seiner Jugend wurde es Schumann schwindlig als er einmal von einer Brücke das Fließen eines Flusses betrachtete. Er sah darin den unerbittlichen Zeitfluss, der gnadenlos alles Seiende hinwegrafft und versinken lässt. In einer Vision glaubte Schumann, der Fluss stünde still, und er wäre es, der sich gegen den Strom bewege.

Es galt Schumann als künstlerisches Ideal, sein Werk aus dem Strom der Zeit herauszuheben, ewig Gültiges zu schaffen. In der „Dichterliebe“ wird die Verletzbarkeit des Menschen beschrieben, die Deklination der Gefühle in allen Phasen und Nuancen ergreift uns durch die Aufrichtigkeit ihrer Darstellung. Als Voyeure blicken wir auf die leidende Seele, die sich ohne Scheu dem Betrachter öffnet, uns dadurch unmerklich in ihren Bann zieht und allmählich in uns jene Seiten zum Schwingen bringt, die zu zeigen wir uns heutzutage abgewöhnt haben. Jenseits jeglicher Sentimentalität erwacht und erfüllt sich beim Hören eine Sehnsucht nach tiefer liegenden Gefühlsebenen, die von der
fun-Gesellschaft diffamiert und als Schwäche deklariert werden.

Biografische, geschichtliche und ästhetische Ebenen überlagern und durchdringen einander in der „Dichterliebe“. In dem Musiktheaterstück, das wir gemeinsam in einem einjährigen Prozess erarbeiten wollen, könnten diese Ebenen und Aspekte mit einfließen.

Es ist erstaunlich, dass Schumann diesen traurigen Zyklus in einer sehr glücklichen Zeit komponierte: zwei Monate vor der gerichtlichen Einwilligung in die Hochzeit. Es ist anzunehmen, dass er hier die Gefühlszustände, an denen er während der erzwungenen Trennung von Klara zu leiden hatte, im Nachhinein psychisch verarbeitet.

Das erzählende Subjekt, der romantische Künstler, lässt die Erwählte eine Metamorphose durchleben: aus der Geliebten wird die Muse, die, zur Heiligen stilisiert, sich anschließend als Schlange entpuppt. Wir erleben die Gefühle, die die Frau im Künstler auslöst. Sie selbst als
Charakter bleibt kontur- und gesichtslos, ist nur Hülle, Dienende dem „Künstler-Gott“.

Der Traum als Fluchtmöglichkeit vor dem Weltschmerz, das jähe Umschlagen von Glück in Schmerz sind romantische Topoi, die Heine im Text verwendet, ebenso die bildlichen Motive: Tränen, Rosen, Lilien, Nachtigall, der Unglückliche, der die Geliebte, tanzend mit dem anderen, durchs Fenster beobachtet etc. Für die szenische Umsetzung könnten auch andere romantische und von Schumann verwendete Motive Eingang finden, wie z.B. das Maskenmotiv und das Motiv des Doppelgängers. Schumann erfand als Musikkritiker verschiedene Figuren (Eusebius und Florestan, etc.) als fiktive Personifizierungen seines Ichs. Die Anwendung dieses Prinzips der Figurenspaltung in verschiedene Aspekte würde sich für eine Dramatisierung anbieten.

Mit dem Blick und den Erfahrungen der Moderne wollen wir uns mit Robert Schumann, seiner musikwissenschaftlichen Bedeutung, seiner Kompositionsweise, seiner Biografie, seinen Träumen und seinen Widersprüchen auseinander setzen. Natürlich kann es nicht darum gehen, eine „gültigere“ Version anzustreben. Wir wollen vielmehr im gemeinsamen Dialog eine musiktheatrale zeitgenössische Reflexion entwerfen. In diesem Musiktheaterstück, für das ein Gattungsbegriff noch gefunden werden muss, wird sich unsere Verehrung für den großen Künstler widerspiegeln.

Unser Arbeitsprozess wird von einer Reihe von Veranstaltungen begleitet, in denen wir werkstattartig den Stand unserer Suche darstellen. Den Anfang des Projekts bildet der Abend „Herzens Nacht“: Das Ergebnis unserer ersten Annäherung ist eine szenische Interpretation des originalen Liederzyklus.

Florestan und Euseb ist meine Doppelnatur
Peter Rummenhöller

Wenn Schumann von Florestan und Eusebius als seiner Doppelnatur spricht, die Raro zur Synthese bringt, wenn er sie als die „Verschleierten“ bezeichnet, so spricht er hier zwei besonders typische Motive der Romantik an. „Doppelnatur“ und „die Verschleierten“ kennt die romantische Literatur als Doppelgänger-. oder Zwillings-Symbolik und als Maskenmotiv. Dieses wiederum ist Grundmotiv der romantischen Maskenball- und Karnevalssituationen, denen wir in Schumanns Kompositionen mehrfach begegnen. Diesen romantischen Motivkomplex Doppelgänger-Maskenball entlehnte Schumann zweifellos den Werken Jean Pauls durch genaue Kenntnis und große Verehrung. So wie die Romantik sah Jean Paul die Welt als eine gespaltene, gebrochene an, und seine Sehnsucht, wie die der Romantik, galt einer ganzen Welt, von der in einer fernen Vergangenheit anzunehmen ist, daß sie einmal in Einheit bestanden habe. Romantische Sehnsucht, romantisches Leiden, der „Weltschmerz“, richtete sich auf diese verlorene Einheit. Die Motive des Doppelgängers, die Zwillinge, des Maskenballs und der Maske sind nichts anderes als Symptome, Ausdruck des Leidens an der Spaltung der Welt und der Sehnsucht nach ungebrochener Einheit. Die gegenwärtige Erscheinung der Welt aber wird als „Schein“ denunziert: das Leben ein Maskentanz und die Maske als Ausdruck des Identitätsproblems. Für die romantische Weltanschauung ist das Leben ein Reigen trügerischen Scheins.

 

Biographien

Mareike Schellenberger – Gesang – studierte Musik- und Tanzerziehung (Rhythmik) in Essen, sowie Gesang in Leipzig (Prof. Hans-Joachim Beyer) und Zürich (Christoph Prégardien). 1996 erste eigene Choreographien mit Bewegung und Stimme. Seit 1998 Gastverträge an den Opern Schwerin und Luzern. Konzerttätigkeit als Lied- und Oratoriensängerin in ganz Europa u.a. mit dem Polnischen Kammerchor, dem Gewandhausorchester Leipzig, MDR-Orchester, Zürcher Kammerorchester, Camerata Zürich und Musikkollegium Winterthur. Gegenwärtig Lehrauftrag für Gesang an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Eigene Produktionen als Sängerin/Tänzerin in Deutschland und der Schweiz. Rundfunk- und CD-Aufnahmen ( MDR, NDR, Deutschlandradio Berlin).

 

Jana Ressel – Choreographie und Tanz – erhielt ihre Ausbildung Klassischer/ Moderner Tanz und Pädagogik sowie Choreographie (Diplom) in Lübeck, der Paluccaschule Dresden sowie an der Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig. Studienaufenthalte führten sie u.a. nach New York und Wien. Sie tanzte u.a. mit dem Tanztheater Lübeck, der Modern Dance Companie Frankfurt/Main. Sie inszenierte eine Reihe von eigenen Choreographien, z.B. das Tanzstück „Crido“ zum Festival für Zeitgenössische Musik in Würzburg. Jana Ressel ist derzeit als Tänzerin freischaffend tätig, hat einen Lehrauftrag für Bühnentanz und Bewegung an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater, gibt Workshops für Modernen Tanz in Weimar, Dresden und Stuttgart.
Bernhard Kastner – Klavier – begann sein Klavierstudium bei Alfons Kontarsky in Köln und setzte es bei Paul Badura-Skoda in Essen fort. Mit dem Konzertexamen (“mit Auszeichnung”) schloss er es 1989 in Hamburg bei Evgenij Koroliov ab. Es folgten Lehraufträge an den Musikhochschulen Hamburg und Saarbrücken. Seit 2000 unterrichtet er Liedgestaltung und instrumentale Korrepetition an der Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig. Konzertreisen führten Bernhard Kastner in viele Länder, Rundfunkaufnahmen und Live-Mitschnitte bei deutschen und ausländischen Radiosendern sowie CD-Produktionen als Solist und Kammermusiker zeugen von seinem breitgefächerten Repertoire, das von Barockmusik bis zur neuesten Musik reicht.
Anja-Christin Winkler – Regie – studierte Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei Prof. Götz Friedrich und schloss das Diplomstudium mit Auszeichnung ab. Anschließend war sie zwei Jahre als Regieassistentin am Nationaltheater Mannheim engagiert. Es folgte ein Aufbaustudium Medienregie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, Berlin, bei Prof. G. Mielke. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin für EuroArts International, Leipzig, inszenierte kleinere Fernsehbeiträge (MDR, ORB) und verschiedene Musiktheaterstücke u.a. „Orpheus“ von Monteverdi in Hamburg.
(C) Musik Projekt Sachsen e.V. 2013